Max Weber: Ein Leben zwischen den Epochen (German Edition) by Kaube Jürgen
Autor:Kaube, Jürgen [Kaube, Jürgen]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783644116115
veröffentlicht: 2014-01-17T17:00:00+00:00
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SIEBZEHNTES KAPITEL
ALLE WELT BESPRICHT EROTISCHE PROBLEME
Gib mir Keuschheit und Selbstbeherrschung, aber jetzt noch nicht.
Augustin
W
enn man von jemandem außerhalb eines Klosters sagt, er lebe wie ein Mönch, dann will das nicht heißen, dass er sich der kapitalistischen Erwerbsarbeit hingibt. Wenn man von jemandem sagt, er sei ein Puritaner, dann bezeichnet das heute sittenstrenge, lustfeindliche Einstellungen gegenüber Sexualität. Die Puritaner wiederum waren keine Mönche. Die praktizierte Weltablehnung sowie aktive Selbstbeherrschung, schreibt Max Weber, sei ihr entscheidendes Lebensideal gewesen. Dass dieses Ideal auch diesseits des Wirtschaftsleben und des demokratischen Gemeindewesens galt – in der Ehe etwa und in der Sexualität –, deutet er nur an. Vermutlich wollte Weber das Opfer betonen, das die «stahlharten» ersten Kapitalisten zugunsten ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit brachten. Für ihn waren die Puritaner Asketen, die Faulheit, Feiern und überhaupt allen «weltlichen» Vergnügungen bestenfalls skeptisch gegenüberstanden.
Wie verhielten sich Webers historische Helden tatsächlich zur Sexualität? Die Puritaner hielten die Ehe hoch: Am römischen Katholizismus befremdete sie am meisten, dass man jemandem gehorchen soll, der unverheiratet ist, also keine Verantwortung für eine Familie trägt und eine wesentliche Lebenserfahrung nicht gemacht hat. Außerdem verachteten sie die gesellschaftliche Doppelmoral, in der die Askese der Mönche die Hemmungslosigkeit der Fürsten kompensieren sollte. In der Geschichte der rationalisierten Lebensführung waren die Puritaner ebendeshalb für Max Weber so wichtig: Sie unterstellten die ganze Gesellschaft und die ganze Woche denselben Idealen. Keine Ausnahmen für Hochrangige, keine Freihandelszonen herabgesetzter moralischer Tarife, keine Sonderausschüttungen von Heil.
Weber hielt die Puritaner für sinnenfeindliche Menschen, die mit dem Hohelied Salomos nichts anfangen konnten. Ihre sexuelle Askese entspreche im Grunde klösterlichen Prinzipien, sie sei sogar weitreichender als jene der Mönche, da für die Puritaner der Geschlechtsverkehr selbst in der Ehe «nur als das von Gott gewollte Mittel zur Mehrung seines Ruhmes, entsprechend dem Gebot: ‹Seid fruchtbar und mehret euch›, zulässig» sei.[459] Später, so Weber, werde diese rationale Einstellung durch die «fachmenschliche» medizinische abgelöst, für die Geschlechtsverkehr in erster Linie gesundheitlich wünschenswert sei.
Tatsächlich aber bejahte der Hauptstrom dieser religiösen Bewegung mit der Ehe – denn es war «nicht gut», dass Adam allein war – auch das Vergnügen der Eheleute aneinander, das seelische und moralische wie das körperliche. Und zwar nicht um höherer Zwecke willen, sondern als gerechtfertigt an sich.[460] Ihr eigentliches Ideal nämlich war der wechselseitige Trost, den sich die Eheleute bieten, zu dem auch die Sexualität gehöre, sofern sie mit Beständigkeit einhergehe. Askese war für sie weder ein Selbstzweck, noch ein Ausdruck von Weltablehnung. Gegen Theaterbesuche wandten sich die Puritaner beispielsweise nicht, weil das Theater Vergnügen bot, sondern weil es dort regelmäßig zu Prügeleien kam.
So sahen die meisten Puritaner auch die Liebesleidenschaft. Daniel Rogers, der Autor eines der populärsten puritanischen Benimmbücher der Zeit, drückt sich so aus: «Angenommen, du hättest anfangs Gründe, deine Gefährtin zu lieben; was dann? Meinst du, diese Klinge bleibt scharf, wenn du sie nicht täglich wetzt?» Zwar kamen auch er und die Seinen nicht um das Problem herum, dass die Ehe nicht aus verstetigten Höhepunkten bestehen kann. Aber wenn die puritanischen Eheratgeber das «gegenseitige Herumspielen um des Vergnügens willen» (mutual
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